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Justizministerium NRW

Quelle: Justiz NRW

Grußwort des Ministers der Justiz Dr. Benjamin Limbach anlässlich des 6. Amtsanwalts-Symposiums an der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen in Bad Münstereifel

20.04.2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, nach drei Jahren pandemischer Pause wieder ein Amtsanwaltssymposium in Bad Münstereifel eröffnen zu dürfen. Beim letzten Mal stand ich noch als Direktor der Fachhochschule an dieser Stelle, als die Amtsanwältinnen und Amtsanwälte als die „echten Allrounder der Strafverfolgung“ gewürdigt wurden. Denn auch wenn die mediale Aufregung sich an spektakulären Tötungsdelikten, Missbrauchs- und Steuerskandalen entzündet, ist es doch die Alltagskriminalität, die die Menschen in Nordrhein-Westfalen tatsächlich beschäftigt. Und die landet nun einmal auf dem Schreibtisch der Amtsanwaltschaft. 

Die Amtsanwältinnen und Amtsanwälte sind deshalb das Gesicht der Justiz im Alltag und wir möchten gemeinsam erreichen, dass dieses Gesicht als ein den Menschen zugewandtes Gesicht wahrgenommen wird. 

Denn ein Vertrauensverlust in die staatliche Strafverfolgung richtet Schäden im ganzen demokratischen Gemeinwesen an. Es sind ja nicht nur die Opfer selbst, die Ihre Arbeit wahrnehmen, sondern deren gesamtes soziales Umfeld: Die Familie, die Arbeitskollegin, der Tennispartner, die Freunde aus der WhatsApp-Gruppe. Jedes Verfahren zieht weite Kreise, auch wenn es nicht in die Medien gelangt. 

Am Ende hängt es immer vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Ihre Professionalität ab, ob eine Tat vom Dunkelfeld ins Hellfeld gehoben wird, ob sich Zeuginnen und Zeugen melden und ob die Verfahrensbeteiligten am Ende den Gerichtssaal „befriedet“ verlassen.

Anders als vor Jahren wissen wir heute deutlich mehr über die Auswirkungen, die sogenannte „Alltagskriminalität“ auf das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger hat. Opfer von Straftaten wollen gesehen und ernst genommen werden. Die Ansprüche an opfergerechte Kommunikation sind gewachsen, in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. Spätestens mit der der EU-Opferschutzrichtlinie ist in den Strafprozess eine Kultur der „Kommunikation auf Augenhöhe“ eingezogen.

Eine diverser werdende Gesellschaft bringt dabei zusätzliche Herausforderungen. Die Kommunikation gegenüber Opfergruppen mit speziellen Bedürfnissen ist anspruchsvoll. Wir haben den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte gemacht und ich freue mich, dass das Symposium auf einige der besonderen Opfergruppen einen genaueren Blick richten wird.

Wir haben beispielsweise gelernt, bei Beleidigungen genauer hinzusehen. Es gibt zahlreiche medizinische Belege dafür, dass digitale Hassrede nicht nur „Schall und Rauch“ ist, sondern buchstäblich krank macht - bis hin zu posttraumatischen Stressstörungen und Depressionen. Aber sie kann nicht nur die unmittelbar betroffene Person tief verstören. 

Wir wissen, dass sie über den Einzelfall hinaus das Diskursklima für ganze Gruppen von Menschen vergiftet, ja vergiften soll, um sie zum Verstummen zu bringen. Hier gilt es deshalb, im Interesse der Demokratie besonders wachsam und sensibel zu sein. Heute Nachmittag können Sie dazu Näheres hören.

Eine weitere Fallgruppe, auf die sich die Sicht der Strafjustiz in den letzten Jahrzehnten geändert hat, ist die häusliche Gewalt. Vor 20 Jahren wurden sie noch als „Familienstreitigkeit“ abgetan. Das hat sich zum Glück geändert, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Istanbul-Konvention, die seit April 2018 in Deutschland im Range eines Bundesgesetzes gilt. 

Ich weiß, dass in vielen Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen die Verfahren wegen häuslicher Gewalt in den Amtsanwaltsdezernaten in Sonderzuständigkeiten bearbeitet werden. Ich halte das für sachgerecht, denn Beziehungsgewalt wirft komplexe Folgefragen auf. 

Sie ist regelmäßig kein singuläres Ereignis. Man wird um einen Blick auf die Vorgeschichte nicht umhinkommen. Sind Kinder involviert? Hier sind Mitteilungspflichten im Interesse des Kinderschutzes zu bedenken. 

Ist eine Wohnungswegweisung durch die Polizei erfolgt? Dann muss auch das nachgehalten werden und es besteht unter Umständen eine Schnittstelle zum Familiengericht. 

Glücklicherweise stehen Sie mit dieser Komplexen Aufgabe nicht allein. Wir können uns auf einen fachkundigen Vortrag über eine großartige Einrichtung freuen, die wir in der Justiz zur Verfügung haben und die Amtsanwältinnen und Amtsanwälte im Drange der täglichen Geschäfte vielleicht noch zu selten nutzen: Den allgemeinen Sozialen Dienst und die Gerichtshilfe. 

Wir haben seit Anfang April in allen Staatsanwaltschaften des Landes Koordinatorinnen und Koordinatoren für den Opferschutz etabliert. Sprechen Sie diese ruhig an. Deren Aufgabe ist unter anderem auch die Unterstützung Ihrer täglichen Zusammenarbeit mit dem aSD. 

Trotz allem lässt sich eines nicht bestreiten: Die Verfahren sind anspruchsvoller und zeitintensiver geworden und stellen eine persönliche und fachliche Herausforderung dar. Diese Herausforderung besteht heute mehr denn je darin, trotz der immensen Arbeitsbelastung, der die Amtsanwaltschaft sich gegenüber sieht ist, die opfergerechte Kommunikation täglich neu zu gestalten. Dazu müssen die nötigen Ressourcen in der Justiz geschaffen werden. 

Ich möchte deshalb die Gelegenheit nutzen und Ihnen für Ihren bemerkenswerten Einsatz in dieser schwierigen Zeit danken. Es freut daher mich sehr, dass ich nicht ganz mit leeren Händen vor Ihnen stehe und Ihnen mitteilen kann, dass-  wie auch bereits in den vergangenen Haushaltsjahren - im Haushalt 2023 im Amtsanwaltsdienst durch Stellenhebungen neue Beförderungsmöglichkeiten eröffnet werden konnten: Insgesamt wurden 2 Planstellen der Besoldungsgruppe A 13 nach Besoldungsgruppe A 13 mit Amtszulage sowie 7 Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 nach Besoldungsgruppe A 13 gehoben.

Im Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung aber auch das übergeordnete Ziel formuliert, die Justiz in Nordrhein-Westfalen personell und finanziell dauerhaft und nachhaltig bedarfsgerecht auszustatten. Richtschnur ist das Personalbedarfsberechnungssystem in der Justiz. Die effektiv stellenbasierte Belastungsquote liegt im Bereich der Amtsanwältinnen und Amtsanwälte bei aktuell 101%. 

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass sich die Belastung vor Ort für Sie derzeit leider noch anders darstellt. Ein relativ hoher Anteil der Planstellen im Amtsanwaltsdienst und Rechtspflegerdienst ist derzeit unbesetzt. Hier Abhilfe zu schaffen und eine deutliche Verbesserung der Stellenbesetzung zu erreichen, hat für mein Haus und auch für mich persönlich höchste Priorität: So wurden in den letzten Jahren die Anzahl der Einstellungsermächtigungen für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger und die bestehenden Ausbildungskapazitäten deutlich erhöht und die Bemühungen im Bereich der Nachwuchsgewinnung erkennbar verstärkt. 

Ich muss Sie gleichwohl weiterhin um Geduld bitten, denn kurzfristig wird eine wesentliche Verbesserung der Stellenauslastung und damit Ihrer Belastung vor Ort nicht zu erreichen sein. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die ergriffenen Maßnahmen sukzessive ihre volle Wirkung entfalten werden und schließlich auch bei Ihnen zu spürbaren Entlastungen führen werden. 

Jetzt aber darf ich das Wort an unsere neue Beauftragte für den Opferschutz in Nordrhein-Westfalen übergeben. Sie hat uns eine Standortbestimmung und einen Ausblick versprochen. Wie ich Frau Havliza kenne, wird sie mit kritischen Anmerkungen nicht sparen. Vor allem darauf und auf den Ausblick auf die Zukunft bin ich gespannt. 

Für Fragen, Kommentare und Anregungen steht Ihnen zur Verfügung: pressestelle@jm.nrw.de