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Justizministerium NRW

Quelle: Justiz NRW

Erklärung zu den rechts- und justizpolitischen Zielen des Ministers der Justiz Dr. Benjamin Limbach anlässlich der ersten ordentlichen Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen am 14. September 2022

14.09.2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Mitglieder des Rechtsausschusses,

im Rahmen der ersten regulären Sitzung des Rechtsausschusses in der 18. Wahlperiode des nordrhein-westfälischen Landtags möchte ich Ihnen einen Ausblick auf die Ziele und Absichten der neuen Landesregierung geben, soweit diese mein Ressort betreffen.  

Vorausschicken möchte ich einige Worte zur Zusammenarbeit. Mir ist sehr gelegen an einer offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium der Justiz und dem Landtag, insbesondere dem Rechtausschuss. Der Ausschuss in seiner beratungs- und gesetzesvorbereitenden Funktion soll der Ort sein, um im fairen und sachlichen Austausch zu guten politischen Ergebnissen zu gelangen. Die Kontrolle der Landesregierung durch den Landtag ist von besonderer demokratischer Bedeutung, denn wir leiten unsere exekutiven Befugnisse vom gewählten Parlament ab und nicht andersherum. Ich hoffe, gerade in jüngster Zeit schon deutlich gemacht zu haben, dass mir insbesondere der damit zusammenhängende Informationsanspruch des Parlaments wichtig ist.

Es würde mich freuen, wenn wir zu einer guten Zusammenarbeit und gegenseitigem Verständnis finden.

Wir haben uns ja erst vor einer Woche mit den tragischen Ereignissen in Dortmund befasst. Wie Sie alle bin ich vom Tod des jungen Menschen betroffen. Zuletzt machte uns die Tötung eines jungen Transmannes am Rande des CSD in Münster fassungslos.

Ich möchte bewusst zu Beginn dieser Sitzung noch einmal betonen, dass ich sehr großes Vertrauen in unseren Rechtsstaat und seine Organe habe. Ich weiß aus langjähriger Tätigkeit für die Justiz, dass wir in Nordrhein-Westfalen über eine engagierte und leistungsstarke Justiz verfügen. Viele Menschen in unterschiedlichen Dienstzweigen arbeiten jeden Tag im Sinne der Gerechtigkeit. An der erforderlichen Tatkraft, Neutralität und Empathie der Mitarbeitenden der Justiz habe ich keine Zweifel.

Aber ich muss auch fetstellen, dass gerade die jüngsten Ereignisse – unabhängig von teils noch laufenden Ermittlungen – bei vielen Menschen Fragen aufwerfen. Nicht nur das: Viele Menschen berichten nicht erst seit heute, dass sie aufgrund Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität oder Behinderung  Diskriminierung erfahren haben. Das können wir nicht hinnehmen.

Gerade die Justiz lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat. Ohne dieses Vertrauen kann die Justiz nicht erfolgreich arbeiten. Wir sind deshalb in der Pflicht, dieses Vertrauen zu erhalten. Wo es Schaden genommen hat oder Schaden zu nehmen droht, müssen wir es schützen und herstellen.

Ich meine, gerade diese Koalition hat das Potential aber auch die Aufgabe, vertrauensstiftend für alle Gruppen der Gesellschaft zu sein und den gesellschaftlichen Frieden – der heutzutage von ganz unterschiedlichen Seiten immer wieder angegriffen wird – zu erhalten.

Die Justiz muss sich am Menschen orientieren. Denn für die Menschen sind wir da. Das bedeutet erstens, dass sich alle unsere organisatorischen und rechtspolitischen Weichenstellungen an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientieren müssen, die letztlich betroffen sind. Zweitens arbeiten in der nordrhein-westfälischen Justiz etwa 43.000 Beschäftigte, deren Blickwinkel ganz entscheidend für die Arbeit der Politik sein muss. Es handelt sich um ein Ressort, das wie kaum ein anderes von der Arbeit der Menschen geprägt wird und durch diese überhaupt erst Wirkung entfaltet.

Es ist mir wichtig, das Thema "Vielfalt in der Justiz" in den kommenden Jahren voranzutreiben. Das ist kein Selbstzweck. Denn wenn wir auf die Vielfalt unserer Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen schauen, dann ist diese Vielfalt noch nicht in gleicher Weise in der Justiz abgebildet. Wir müssen uns hier kritisch fragen: Welche Hürden gibt es, die Menschen aus bestimmten Gruppen der Gesellschaft an einem Eintritt in die Justiz hindern? Wir müssen beginnen, diese Hürden zu identifizieren und Stück für Stück abzubauen.

 

Eine vielfältige Justiz ist für uns alle ein Gewinn!
Gerade weil die Justiz oft für die Menschen einschneidende Entscheidungen fällt, sind möglichst viele unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungshorizonte wichtig. Von Frauen und Männern, von Menschen mit Migrationshintergrund, von Menschen mit Behinderung, sowie von Menschen aus der LSBTIQ+-Community. Der Austausch untereinander erweitert den Horizont und hilft bei der Entscheidungsfindung. Und nicht zuletzt ist sie für die eingangs erwähnte Vertrauensbildung von entscheidender Bedeutung.
Übrigens: In den Eingangsämtern sind wir in Sachen Gleichstellung der Geschlechter schon sehr weit. In den Spitzenämtern sieht es immer noch anders aus. Hier muss sich etwas ändern.

Ein wichtiges Aufgabengebiet der Justiz ist die Strafrechtspflege mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften in diesem Land. Die Kriminalitätsbekämpfung in allen Bereichen hat für mich eine hohe Priorität. Das Vertrauen in die Justiz lebt von dem Versprechen des Rechtsstaats, strafbares Verhalten zu verfolgen und Rechtsgüter zu schützen. Es darf keine rechtsfreien Räume geben weder auf unseren Straßen noch im Internet.

Hervorheben möchte ich heute zunächst die Bekämpfung der Umweltkriminalität. Straftaten gegen die natürlichen Lebensgrundlagen gefährden uns alle. Wir haben in der Vergangenheit erleben müssen, welche Schäden durch skrupellose Umweltverschmutzung entstehen. Wir richten deshalb eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft Umweltkriminalität ein, um das Expertenwissen zu bündeln und auch schwierige Ermittlungsverfahren effektiv führen zu können.

Wichtig ist auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Gerade weil wir die beabsichtigte Delegitimierung des Rechtsstaats durch Gruppen der organisierten Kriminalität nicht dulden dürfen, müssen wir die erforderlichen Ressourcen zur konsequenten Verfolgung weiterhin zur Verfügung stellen und weiter engagiert illegale Vermögen abschöpfen.
Das betrifft viele Phänomene und Deliktsbereiche: Es betrifft die Mafia-Gruppierungen, Rocker-Gruppierungen, Kriminalität aus Familienverbünden oder auch die organisierte Wirtschaftskriminalität. Es geht unter anderem um Menschenhandel, Zwangsprostitution oder die Ausbeutung von Arbeitskräften. Es trifft die Schwachen und Wehrlosen in unserer Gesellschaft besonders schlimm.

Wichtig ist mir auch eine wirksame Bekämpfung des Kindesmissbrauchs in seinen vielen Formen. Was hier in den letzten Jahren aufgedeckt wurde, schockiert mich und macht mich zutiefst betroffen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns zu einer konsequenten Strafverfolgung bekannt. Diesen Vorsatz mache ich mir voll und ganz zu eigen. Wir werden unsere Behörden weiter stärken und alle erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, um eine konsequente Strafverfolgung zu ermöglichen.

Die Kinder und Jugendlichen verdienen in höchstem Maße unser Augenmerk und unseren Schutz. Diese ganz besondere Phase des Lebens müssen wir in unserer Politik berücksichtigen. Eine kinder- und jugendfreundliche Justiz muss unser Anspruch sein. Kinder und Jugendliche als Opfer und Zeugen von Straftaten bedürfen einer besonders professionellen Betreuung und Begleitung. Die bestehenden Angebote und Projekte möchte ich verstetigen und weiterentwickeln sowie prüfen, wo weiterer Handlungsbedarf besteht. Die Childhood-Häuser zum Beispiel sind ein vielversprechendes Projekt, um von Straftaten betroffenen Kindern einen geschützten und verlässlichen Raum zu geben und zusätzliche Belastungen zu begrenzen. Wir werden uns gerne an der weiteren Fortführung und Ausweitung beteiligen.

 

Eine andere Seite jugendgerechter Justiz ist die Frage des angemessenen Umgangs mit dem Fehlverhalten von Jugendlichen. Nicht jeder Verstoß soll den weiteren Werdegang verbauen. Ein differenzierter Umgang mit jugendlicher Delinquenz ist auch eine Aufgabe einer menschenorientierten Justiz. Im Sinne der Jugendlichen, aber auch im Sinne der Gesellschaft, denn Straftäterinnen und Straftäter können auch „gemacht“ werden. Gleichzeitig gilt auch hier: Schwere oder andauernde Verstöße müssen geahndet werden. Mit dem Haus des Jugendrechts und den Staatsanwält*innen vor Ort gibt es schon gute Projekte, die wir ausweiten wollen.

 

Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit wird der Justizvollzug sein. Neben der Sicherheit haben wir vor allen Dingen den Auftrag der Resozialisierung. Und eins möchte ich klar sagen: Eine erfolgreiche Resozialisierung dient in ganz besonderem Maße auch der Sicherheit der Gesellschaft. Wir müssen jede Chance nutzen, während einer Inhaftierung die Gefangenen zu befähigen, nach ihrer Inhaftierung ein straffreies Leben zu führen.

Eine erfolgreiche Resozialisierung braucht einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Gruppen der Inhaftierten.

Von einer Inhaftierung sind oft viele betroffen, auch wenn sie nichts dafür können. Das gilt besonders für die Partnerinnen und Partner und die Kinder von Gefangenen. Ich möchte einen familiensensiblen Vollzug, der darauf Rücksicht nimmt. Für die Familienmitglieder aber auch für die Resozialisierung ist es wichtig, die Beziehung zu erhalten und zu entwickeln. Neben den fünf Familienschwerpunktanstalten werde ich prüfen, welche weiteren Maßnahmen wir ergreifen können, um diese wichtige Beziehung zu erhalten und zu stabilisieren. In Betracht kommen hier unter anderem kindgerechte Besuchszeiten und Besuchsräume oder die Ausweitung bereits entwickelter Projekte wie "Väter / Mütter lesen für ihre Kinder".
Das Behandlungs- und Beratungsangebot für kranke, pflegebedürftige und suchtkranke Inhaftierte möchte ich verbessen und ausweiten. Besonders im Blick behalten müssen wir Inhaftierte mit psychischen Erkrankungen. Neben dem Ausbau des stationären Behandlungsangebotes müssen auch die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten verbessert werden.

Die zunehmend digitale Welt sollte sich auch im Vollzug abbilden. Mit den geplanten Haftraummediensystemen können wir Inhaftierte zu einem Leben in der digitalisierten Gesellschaft befähigen.
Die Eigenständigkeit des Frauenvollzuges möchte ich stärken. Mit der Umwidmung der JVA Iserlohn in der gestrigen Kabinettssitzung sind wir einen ersten wichtigen Schritt gegangen. Wir werden weiter analysieren, welche Behandlungsangebote für die spezifischen Problemstellungen inhaftierter Frauen in Betracht zu ziehen und zu optimieren sind.
Der Jugendvollzug muss sich noch stärker an pädagogischen Erkenntnissen und Maßstäben orientieren. Den Jugendvollzug in freien Formen möchte ich in einem Modellprojekt erproben.
Der hohen Arbeitsbelastung im Vollzug müssen wir begegnen. Bereits bei der gerade erfolgten Haushaltsanmeldung habe ich darauf reagiert und ich werde mich weiterhin für eine auskömmliche personelle Besetzung stark machen. Dies werden wir auch im Bereich der eigenen Ausbildung berücksichtigen.
Das Übergangsmanagement als gesamtgesellschaftliche Aufgabe möchte ich ressortübergreifend weiter etablieren. Einer von vielen richtigen Ansätzen ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Handwerk im Bereich der Berufsausbildung, die gerade in einem Projekt erprobt wird.

Bei all diesen Vorhaben setzen wir auf eine multiprofessionelle Zusammenarbeit unter Einbindung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Pädagoginnen und Pädagogen, Psychologinnen und Psychologen, Seelsorgerinnen und Seelsorgern.
Wichtig ist uns auch die Arbeit der vielen externen Ehrenamtlichen und Professionellen, für dich ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte.

Eine wichtige Voraussetzung sind moderne und gute Justizvollzugsanstalten. Sie dienen einerseits einer sicheren Unterbringung und unterstützen mit ihren unterschiedlichen Einrichtungen die Resozialisierung. Wir dürfen beim Bau und der Sanierung unserer Justizvollzugsanstalten nicht an der falschen Stelle sparen. Deswegen werden wir das JVMoP und alle anderen anstehenden Bau- und Sanierungsmaßnahem engagiert vorantreiben. Es freut mich deshalb besonders, dass wir im Kabinett gestern schon wichtige Beschlüsse zur Fortführung des Justizvollzugsmodernisierungsprogramms (JVMoP) getroffen haben.

Und weil uns der Schutz der Opfer und die Resozialisierung von Tätern wichtig sind, erarbeiten wir ein Opferschutz- und Resozialisierungsgesetz.

Ich habe bereits zu Beginn gesagt, dass die Arbeit der Justiz ganz entscheidend von den 43.000 Beschäftigten geprägt wird. Auch auf sie müssen wir in ganz besonderem Maße unseren Fokus richten.

Es ist ausreichend Personal erforderlich. Einhundert Prozent Belastungsquote bleibt der Anspruch. Dies werden wir bei unseren Anmeldungen zum Haushalt berücksichtigen.

Angesichts der demografischen Entwicklung bleibt die Stellenbesetzung jedoch weiter eine große Herausforderung. Die Nachwuchsgewinnung wird für diese Legislaturperiode eine wichtige Aufgabe sein. Wir sind dabei, eine Arbeitgebermarke zu entwickeln, und wir werden unsere Kampagne zur Nachwuchsgewinnung im Hinblick auf die eingangs erwähnte Diversität weiterentwickeln.
Die Justiz muss als Arbeitgeberin attraktiv sein. Für die, die bereits bei uns arbeiten und für mögliche Bewerberinnen und Bewerber.
Dazu gehört eine moderne Arbeitswelt. Die Digitalisierung ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Gerade kürzlich erfolgte die Migration des letzten Gerichts in das Rechenzentrum der Justiz NRW. Im Bereich des Zivil- und des Verwaltungsrechts ist die Einführung der elektronischen Akte weit fortgeschritten. In den nächsten Jahren stehen gleichwohl noch große Aufgaben an, denen wir uns engagiert widmen werden.
Als Justiz dürfen wir den Entwicklungen in diesem Bereich nicht hinterherlaufen, sondern müssen auf der Höhe der Zeit sein. Die Voraussetzungen für modernes und ortsunabhängiges Arbeiten schaffen wir, wo es dienstlich möglich ist.

Die Digitalisierung muss den Zugang zur Justiz erleichtern und die Justiz bürgerfreundlicher ausrichten. Nicht vergessen dürfen wir auch die Menschen, für die digitale Prozesse eine Hürde darstellen und die einen barrierefreien Zugang benötigen.

Als attraktive Arbeitgeberin haben wir auch einen Blick auf unsere Aus- und Fortbildung. Wir bilden in vielen Dienstzweigen selbst aus und verfügen über sehr gute Ausbildungseinrichtungen in Bad Münstereifel, Wuppertal, Monschau, Essen und Hamm. Vor allem wegen der demografischen Entwicklungen müssen wir prüfen, ob und wo wir Ausbildungsangebote erweitern. Mit den Angeboten insbesondere der Justizakademie ermöglichen wir eine umfassende Fortbildung unseres Personals, die wesentlich ist für eine Justiz auf der Höhe der Zeit.  

 

Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass wir uns als bevölkerungsreichstes Bundesland weiterhin in den rechtspolitischen Dialog und die Entscheidungsfindung im Bund und in Europa einbringen werden. Die fachliche Expertise des Ministeriums der Justiz und des Geschäftsbereiches möchte ich für die Weiterentwicklung des Rechts nutzen.

Ich sehe uns dabei in der europa- und völkerrechtsfreundlichen Tradition unseres Bundeslandes. Als Bundesland im Herzen Europas liegt unsere Zukunft in der weiteren europäischen Integration. Dazu wollen wir als Justiz unseren Beitrag leisten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke für ihre Aufmerksamkeit.

Für Fragen, Kommentare und Anregungen steht Ihnen zur Verfügung: pressestelle@jm.nrw.de